Gehen Sie am Sonntagmittag durch ein beliebiges österreichisches Gasthaus. Oder versuchen Sie, einen Installateur für einen Rohrbruch zu bekommen. Oder schauen Sie in die Pflegeheime. Was Sie dort sehen – oder vielmehr: wen Sie dort nicht sehen – ist keine vorübergehende Delle in der Konjunkturkurve. Es ist der Vorbote eines systemischen Kollapses, den wir seit dreißig Jahren kommen sehen und den wir kollektiv ignoriert haben. Wir haben die Augen verschlossen, während die demografische Bombe tickte, und jetzt wundern wir uns, dass sie uns um die Ohren fliegt.
Der Fachkräftemangel ist kein "Mangel" mehr. Das Wort ist zu harmlos. Es impliziert, dass man nur ein bisschen suchen muss, vielleicht eine bessere Stellenanzeige auf Instagram schalten oder den berühmten Obstkorb noch mit Bio-Bananen aufstocken muss. Vergessen Sie den Obstkorb. Vergessen Sie die Tischfußballtische.
Wir stehen vor einer Arbeiterlosigkeit.
Die Mathematik ist brutal und unbestechlich. Die Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge, die dieses Land und seinen Wohlstand über Jahrzehnte getragen haben, gehen in Pension. Nicht tröpfchenweise, sondern als Tsunami. Und wer kommt nach? Eine Generation Z und Alpha, die zahlenmäßig schlicht zu klein ist, um diese Lücke zu füllen. Selbst wenn jeder 18-Jährige 60 Stunden die Woche arbeiten würde (was sie völlig zu Recht nicht tun), ginge die Rechnung nicht auf.
Wir diskutieren in Österreich leidenschaftlich über die 32-Stunden-Woche, während uns das Fundament unter den Füßen wegbricht. Das ist, als würde man auf der Titanic über die Farbe der Liegestühle streiten, während der Eisberg längst an der Hülle kratzt.
Das Problem liegt tiefer als in der Demografie. Es liegt im Bruch des sozialen Versprechens.
Warum will niemand mehr "hackeln"? Weil der Deal nicht mehr gilt. Für die Generation meiner Eltern war der Deal klar: Du arbeitest hart, du baust ein Haus, du fährst einmal im Jahr nach Italien, deinen Kindern geht es besser. Für die junge Generation heute sieht der Deal so aus: Du arbeitest hart, du zahlst 50 Prozent Abgaben, damit die Pensionisten versorgt sind, ein Haus kannst du dir sowieso nicht leisten, und die Erbschaftssteuer-Debatte hängt wie ein Damoklesschwert über allem. Arbeit lohnt sich in Österreich fiskalisch kaum noch. Leistung wird bestraft, Vermögen wird verwaltet.
Wer kann es einem jungen Ingenieur verübeln, wenn er sagt: "Warum soll ich mich kaputtmachen, wenn am Ende netto kaum mehr bleibt als beim Nichtstun?" Wir haben ein System geschaffen, in dem Freizeit die einzige Währung ist, die nicht wegbesteuert wird. Also maximieren die Leute ihre Freizeit. Das ist ökonomisch rationales Verhalten.
Und die Unternehmen? Die reagieren panisch und hilflos.
Ich sitze in Boardrooms, wo Geschäftsführer mit Tränen in den Augen erzählen, dass sie Aufträge ablehnen müssen. Millionenumsätze werden liegen gelassen, weil niemand da ist, der die Maschine bedient. Wir deindustrialisieren uns gerade selbst, nicht durch hohe Energiepreise, sondern durch fehlende Hände und Köpfe. Die Reaktion der Politik ist ein Trauerspiel aus bürokratischer Behäbigkeit. Die "Rot-Weiß-Rot – Karte" ist ein Witz im internationalen Vergleich.
Wir müssen uns einer unbequemen Wahrheit stellen: Österreich ist für ausländische Top-Talente unsexy.
Warum sollte ein indischer Software-Architekt oder eine vietnamesische Pflegefachkraft nach Österreich kommen? Hohe Steuern, eine Sprache, die man erst lernen muss, und eine Kultur, die "Ausländern" oft mit einer Mischung aus Skepsis und grantiger Arroganz begegnet. Die gehen nach Kanada, in die USA, nach England oder in die Schweiz. Dort verdienen sie das Doppelte und werden als Leistungsträger gefeiert, nicht als Bittsteller am Amt behandelt.
Wenn wir diesen Trend nicht umkehren, ist das Modell "Wohlfahrtsstaat Österreich" am Ende. Unser Sozialsystem ist ein Umlageverfahren. Es funktioniert nur, wenn genug Leute einzahlen. Wenn die Basis wegbricht, stürzt die Pyramide ein. Wir werden uns entscheiden müssen: Wollen wir unseren Wohlstand halten? Dann brauchen wir entweder eine radikale Automatisierung (und ich meine radikal – Roboter in der Pflege, KI in der Verwaltung, autonome Züge) oder eine qualifizierte Zuwanderung in einer Größenordnung, die politisch derzeit "nicht vermittelbar" ist.
Die dritte Option ist die, auf die wir gerade zusteuern: Wir werden ärmer.
Die Dienstleistungen werden schlechter und teurer. Die Wartezeiten länger. Die Infrastruktur maroder. Wir werden zu einem Freilichtmuseum für die gute alte Zeit, verwaltet von einer überalterten Bürokratie.
Das ist kein Pessimismus. Das ist der Blick auf die Zahlen, wenn man die rosarote Brille der Wirtschaftskammer abnimmt. Wir scheitern nicht an der Kompetenz. Wir scheitern an der Attraktivität – als Arbeitgeber und als Standort. Wer glaubt, dass sich das Problem von selbst löst, wenn die Konjunktur anzieht, hat das Spiel nicht verstanden. Das Spielbrett hat sich verändert. Arbeit ist das neue Gold. Und Österreich hat leider vergessen, wo man schürft.