Wenn man in einem Co-Working-Space in der Wiener Lindengasse sitzt, umgeben von Hafermilch-Flat-Whites und MacBooks, die mit Stickern von Krypto-Konferenzen tapeziert sind, könnte man glauben, Österreich sei das Silicon Valley der Alpen. Hier wird "disruptiert". Hier wird "skaliert". Es fallen Begriffe wie Blockchain, Metaverse und Generative AI, als wären es Satzzeichen. Die Luft vibriert vor lauter Lösungen für Probleme, die eigentlich niemand hat. Wir bauen hier die fünfte App für Hundesitting und den zwölften Marktplatz für gebrauchte Designer-Sneaker. Das Geld fließt, die Pitch-Decks glänzen, das Selbstbewusstsein ist grenzenlos.
Dann steigt man ins Auto und fährt eine Stunde. Raus aus dem Gürtel, vorbei an den gesichtslosen Logistikzentren der A1, hinein in das echte Österreich. In das Österreich, das nicht pitcht, sondern produziert.
Willkommen im "Tal der Tränen", oder wie die Politik es nennt: Der ländliche Raum. Hier, in den Industriezonen von Weiz, im Innviertel oder im Vorarlberger Rheintal, sitzen Unternehmen, von denen der Hipster in Wien noch nie gehört hat. Hidden Champions, die 95 Prozent ihrer Waren exportieren. Weltmarktführer für Spritzgussmaschinen, für Hochleistungsturbinen, für Spezialfasern. Diese Firmen halten das BIP dieses Landes am Leben. Aber wenn der Geschäftsführer hier eine Videokonferenz mit dem Vertriebspartner in Shanghai führen will, muss er hoffen, dass es nicht regnet.
Es ist eine groteske Schieflage. Wir haben eine digitale Zweiklassengesellschaft geschaffen, die gefährlicher ist als jede politische Polarisierung.
Auf der einen Seite haben wir die urbane Blase, die Digitalisierung als Lifestyle-Produkt begreift. Hier ist "Tech" ein Statussymbol, ein Marketing-Tool. Auf der anderen Seite steht die industrielle Basis, für die Digitalisierung eine Frage des nackten Überlebens ist – die aber infrastrukturell und kulturell im Stich gelassen wird. Ein Unternehmer aus dem Mühlviertel erzählte mir neulich, dass er seine IoT-Daten (Internet of Things) nachts per Festplatte im Auto zum nächsten Knotenpunkt fährt, weil die Upload-Rate seiner Firmenleitung langsamer ist als der Postweg. Das ist kein Witz. Das ist Standortpolitik im Jahr 2025.
Wir müssen aufhören, so zu tun, als wäre "Digitalisierung" überall das Gleiche. In Wien bedeutet es, Software zu schreiben. In der Peripherie bedeutet es, tonnenschwere Maschinen so zu vernetzen, dass sie im Millisekundenbereich kommunizieren, um Ausschuss zu minimieren. Das eine ist nett und zieht Venture Capital an. Das andere sichert unseren Wohlstand. Doch die mediale Aufmerksamkeit – und damit auch die politische Priorität – liegt fast ausschließlich auf der bunten Start-up-Welt der Hauptstadt. Ein 25-jähriger Gründer, der 2 Millionen Euro verbrannt hat, bekommt ein Cover im Wirtschaftsmagazin. Ein 50-jähriger Eigentümer, der im Waldviertel 200 Arbeitsplätze sichert und seine Produktion auf KI-gesteuerte Logistik umstellt, bekommt: nichts. Höchstens ein langsames Netz.
Das wirkliche Problem liegt aber tiefer als beim Breitbandausbau. Es ist ein kultureller Riss.
Die Wiener Tech-Szene hat eine Arroganz entwickelt, die toxisch wirkt. Man blickt herab auf die "Old Economy", auf die, die sich die Hände schmutzig machen. Man hält sich für die Zukunft, obwohl man oft nur Dienstleister für die Vergangenheit ist. Umgekehrt hat sich die Industrie in den Bundesländern in eine Wagenburg-Mentalität zurückgezogen. "Die in Wien schwätzen nur", heißt es da. Man kapselt sich ab. Man baut eigene, isolierte IT-Lösungen, oft hölzern und inkompatibel, weil man den "Spinnern aus der Stadt" nicht traut.
Das Ergebnis ist eine fatale Ineffizienz. Wir haben in Österreich brillante Ingenieure auf dem Land und kreative Software-Architekten in der Stadt. Aber sie reden nicht miteinander. Sie verachten einander fast schon.
Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn wir diese Welten wirklich vernetzen würden. Nicht mit einer weiteren Alibi-Initiative der Wirtschaftskammer, sondern real. Wenn der Coder aus dem 7. Bezirk verstünde, wie komplex die Sensorik einer Papierfabrik ist. Und wenn der Fabrikant aus Steyr verstünde, dass User Experience (UX) kein neumodischer Quatsch ist, sondern der Grund, warum seine Mitarbeiter die neue teure Software nicht bedienen wollen.
Wir scheitern nicht an der Technologie. Die Router sind da, die Server sind da, die Algorithmen sind open source. Wir scheitern an der Arroganz der Hauptstadt und der Sturheit der Provinz.
Die Gefahr ist real, dass Wien zu einem Freilichtmuseum für digitale Bohemiens wird, während die Industriegebiete langsam ausbluten, weil sie die Fachkräfte nicht mehr bekommen. Denn – und das ist die bittere Wahrheit für die Patrioten in den Tälern – die besten Talente wollen Glasfaser, Coworking und Urbanität. Wer heute High-Potentials für Edge-Computing sucht, lockt sie nicht mit "schöner Landschaft" und billigem Baugrund ins hinterste Tal, wenn dort Netflix ruckelt und der nächste Oat-Latte 40 Kilometer entfernt ist.
Die digitale Kluft ist keine Frage der Technik. Sie ist eine Frage der Demografie und der Kultur. Und wenn wir diese Brücke nicht bald schlagen, wird der eine Teil Österreichs in Schönheit sterben und der andere in Irrelevanz verrosten.